Treulose Konsumenten wechseln ihre Marken. na und?
Treulose Konsumenten wechseln ihre Marken. na und?
Donnerstag, 24. Juli 2014
Einmal Mercedes, immer Mercedes, Nike über alles und nur ein Apple-Smartphone ist ein gutes Smartphone: Das war einmal. Unsere Loyalität gegenüber Lieblingsmarken ist geringer geworden, glaubt W&V-Kolumnist Benedikt Holtappels* und beobachten das Phänomen auch an sich selbst. Warum das für Marken und Agenturen eine große Chance sein kann.
Vor kurzem habe ich einen Hersteller kennengelernt, der bei uns um die Ecke tollen Gin herstellt: Gin Sul. Alles handgemacht, mit ausgesuchten Zutaten, in einer Manufaktur mit viel Liebe zum Produkt hergestellt. Ich mag die Marke und die Destillerie inzwischen sogar so gerne, dass ich hin und wieder hingehe und dem Besitzer, der mittlerweile ein Kumpel geworden ist, beim Abfüllen helfe. Für große Gin-Marken wie Gordon’s oder Hendrick’s bin ich verloren.
Denken Sie mal nach: Welcher Marke sind Sie wirklich über lange Zeit treu geblieben? Ein Apple iPhone war vor ein paar Jahren ein Muss und Ausweis dafür, dass man auf der Höhe der Zeit war. Apple war über lange Zeit Synonym für eine Marke, die den Status "cool sein" vermittelte. Heute sieht man junge Leute häufig auf Samsung-Smartphones WhatsApp-Nachrichten tippen. Ich selbst nutze neben dem iPhone mit wachsender Begeisterung noch ein Modell von HTC.
Muss ich künftig sofort das neueste iPhone-Modell habe? Ich glaube eher nicht.
Erfolg wurde früher am Handgelenk gerne durch eine Rolex zur Schau gestellt. Heute demonstriert man Status eher über eine Marke wie Lange & Söhne, die sogar noch einen Tick individueller und kultivierter rüberkommt als Rolex. Auch im Autobereich sieht man klare Verschiebungen von Markenpräferenzen. Für wen früher nur Mercedes oder Porsche in Frage kam, denkt heute durchaus auch über BMW oder Audi nach. Selbst Marken wie Seat und Skoda haben es aus ihrer Nische ins Relevant-Set von vielen Autofahrern geschafft. All diese Beispiele sind typisch dafür, was renommierte Marken in den letzten Jahren erleben mussten. Echte Markenloyalität gibt es kaum noch. Die Entwicklung weg von sklavischer Markentreue ist in allen Branchen zu beobachten.
Bedeutet das etwa, dass Marken schwächeln? Nicht unbedingt. Dass heute mehr Marken in den Kopf von Verbrauchern gerutscht sind, hat mehrere Gründe. Einer der wichtigsten ist, dass die Qualität der Produkte von Herstellern immer weiter zunimmt. Je besser eine Produktleistung, desto schneller schafft es eine Marke, vom Verbraucher wahrgenommen zu werden. Das verdankt sie natürlich auch gutem Marketing. Denn wenn es in einer Kategorie beispielsweise drei tolle Marken mit ähnlichen Produktqualitäten gibt, sollte man besser ein begehrenswertes Markenprofil haben, damit die Konsumenten zum richtigen Produkt greifen, das über die Markenpositionierung auch noch einen Premium-Preis aufrufen kann.
Hinzu kommt, dass die Research & Development-Abteilungen der Unternehmen immer mehr zum Erfolgsgaranten werden. Kein Unternehmen kann es sich mehr leisten, in diesem Bereich zu schludern, Innovationen zu vernachlässigen oder im Prozess zu langsam zu sein. Und so gut wie die Qualität eines Produktes heute sein muss, muss dann auch das Marketing sein. Sowohl die Unternehmens- als auch die Agenturseite sind gefordert, die Professionalisierung deutlich weiter vorantreiben.
Hinzu kommt, dass Unternehmen über das reine Produkt hinaus, clevere Wege finden müssen, um Barrieren zum Käufer abzubauen. Dazu gehören sicher auch Preisangebote, aber vor allem auch spezielle Serviceleistungen, individuellere Kommunikation und neue Vertriebsformen. Nicht umsonst investieren gerade Premium-Autohersteller zunehmend in ungewöhnliche Shops wie "Mercedes me" oder "Audi City" statt in weitere klassische Handelsplätze. Heute stehen Marketing- und Agenturleute mehr denn je vor der Frage, was wirklich relevant für den Kunden ist. Gerade weil es kaum mehr Produkte mit Alleinstellungsmerkmal gibt.
Die Aufgaben in der Kommunikation werden damit ganz ohne Zweifel anspruchsvoller. Aber auch interessanter. Denn es ist viel spannender mit einem aufgeklärten Verbraucher über das Produkt an sich zu sprechen, als über mühsam aufgepfropfte Statusmythen. Und trotz Wankelmütigkeit bei den Verbrauchern müssen sich gut aufgestellte Marken keine Sorgen machen. Selten werden starke Marken ganz fallengelassen. Eher erweitert sich der Kreis von Marken, die für einen Konsumenten in Frage kommen. Ich trage zum Beispiel heute neben Nike-Turnschuhen, denen lange ausschließlich meine Grundsympathie galt, auch Adidas. Das Design hat sich in meinen Augen positiv verändert, es ist nicht mehr so klinisch wie früher. Und mir gefällt auch, dass es eine deutsche Marke ist. Nach dem Gewinn der Fußball-WM ist der Aspekt natürlich noch wichtiger geworden.
* Der Autor Benedikt Holtappels, ist W&V-Kolumnist ist Mitgründer von Grimm Gallun Holtappels in Hamburg